Schrottbücher von Fake-Experten auf Amazon

Artikel über Schrottbücher und Fake-Experten

Bild: Mein Artikel über Schrottbücher in Ver.di Publik: „Billig-Ratgeber von Fake-Experten“

VERBRAUCHERTÄUSCHUNG — Wie Amazon Schrottbücher mit gekauften Bewertungen auf den Markt schwemmt

„Als Amazon einst seinen deutschen Online-Shop eröffnete, präsentierte die virtuelle Buchabteilung vor allem Titel aus Verlagshäusern. Vor rund zehn Jahren kamen viele Selbstverleger hinzu. Amazon wurde zur Plattform für Autor*innen, die Print-On-Demand und die Möglichkeiten des Kindle-Shops nutzen wollten. Diese Selfpublisher bieten auf eigene Verantwortung ihre Werke an, vor allem Unterhaltungsromane und diverse Ratgeber.

Seit einigen Jahren gibt es im Amazon-Shop ein neues Phänomen: eine Flut von billig gemachten Ratgebern, deren Verfasser*innen im Dunkeln bleiben. Diese Taschenbücher und E-Books fallen durch schicke Cover im amerikanischen Stil auf, und oft beeindrucken sie Unerfahrene durch besonders viele Fünf-Sterne-Bewertungen, die schon wenige Wochen nach der Veröffentlichung eingetroffen sind. Beim genaueren Hinschauen erkennt man jedoch oftmals ein unprofessionelles Layout mit sehr großen Abständen, das es ermöglicht, die Seiten mit wenig Text zu füllen.“ (Die Gender-Sternchen hat die Redaktion spendiert, ich bevorzuge den Genderwechsel.)

So beginnt mein Artikel auf der Verbraucherseite der gewerkschaftlichen Mitgliederzeitung „Ver.di Publik“ (Ausgabe 7/2020), der das Phänomen der so genannten Schrottbücher erklärt. Wie kam es dazu?

Schrottbücher und Fake-Experten über Gesundheit und Ernährung

Ich hatte im April 2019 wohl als Erste auf Deutsch darüber geschrieben, und zwar in meinem anderen Blog auf meiner Schilddrüsen-Seite: Vorsicht, die Pseudo-Bücher kommen!

Darin zeigte ich am Beispiel eines Ernährungs-Ratgebers, wie diese Kindle-Business-Masche funktioniert: Herausgeber, die mehr oder weniger anonym bleiben, kaufen auf diversen Plattformen billige, meist oberflächlich gehaltene Texte von fachlichen Laien ein. Dann statten sie jeden zugekauften Ratgeber mit einem chicen Cover und einem Verkaufstext aus und laden ihn als E-Book und meist auch als Taschenbuch bei Amazon hoch, unter einem erfundenen Autorennamen. Mancher Kindle-Business-Betreiber bewirtschaftet mehrere Pseudonyme. Für den schönen Schein des Pseudonyms gibt es eine Biografie mit selbst fabulierter Lebensgeschichte und Stockfoto, zum Start kommt oft ein Schwung Fünf-Sterne-Bewertungen hinzu, mitsamt Nützlich-Klicks von Dienstleistern und aus der eigenen Szene.

Diese Produkte sind nicht irgendein kleiner Betrug, den es auch anderswo gibt und den der kritische (?) Konsument sowieso bemerkt: „Kindle Business“ wird auf Youtube propagiert und in Online-Kursen und teuren Einzelberatungen vermittelt. Die so entstandenen Schrottbücher sind ein Massenphänomen und dominieren die Verkaufsränge etlicher Ratgeber-Kategorien auf Amazon. Das betrifft alle großen Nutzwert-Themen wie Gesundheit und Fitness, Geld und Erfolg, aber auch Marketing und Social Media. Der Selbstverleger Jan Höpker, der zur Recherche tief in die Szene eingetaucht ist und den ich auch in meinem Verbraucher-Artikel für Ver.di zitiert habe, hat mittlerweile bei über 1.000 Schrottbüchern zu zählen aufgehört.

Große Medien ignorierten Schrottbücher und Kindle Business

Ich hielt die Kindle-Business-Masche für relevant und bot das Schrottbuch-Thema etlichen Redaktionen an: Mehreren Magazinen im Fernsehen, einer Verbraucherzentrale, einigen Tageszeitungen und dem Magazin Focus (das hätte wohl am besten gepasst, weil sich die Zielgruppe des Focus für Nutzwert-Themen interessiert und nicht unbedingt Amazon-kritisch eingestellt ist). Doch niemand war interessiert, außer Ver.di Publik, dessen Verbraucherseite aber nicht in jeder Ausgabe erscheint. Und so wurde es Oktober 2020, bis die Schrottbücher in ein größeres Medium kamen und ein breites Publikum erreichten – die Auflage beträgt über 1,8 Millionen.

Im November gab Jan Höpker der Online-Redaktion von „Business Punk“ ein langes Interview über Schrottbücher und Kindle Business, und ich sprach Anfang Dezember einige Minuten mit dem Radiosender SWR3 (Beitrag wurde routinemäßig nach einem Jahr gelöscht). Ich bin gespannt, ob noch weitere Berichte folgen werden, ob Rechtsabteilungen von Verlagen im Rahmen des Wettbewerbsrechts gegen Schrottbücher vorgehen werden und auch, ob Amazon selbst die Kindle-Business-Betreiber wegen diverser Verstöße in die Schranken weisen wird: Rezensionen und Sterne-Bewertungen zu kaufen verstößt auch gegen die Spielregeln von Amazon.

Relevante Blogartikel über Schrottbücher und Fake-Experten sind bereits unter meinem anderen, oben verlinkten Blogartikel gesammelt. Falls in großen Medien weitere Berichte erscheinen sollten, werde ich dort und auch in diesem Artikel darauf hinweisen.

Update 12/2021: Schrottbücher sind Thema in „Plusminus“ der ARD

Schrottbücher-Sendung-Plusminus

Screenshot aus der ARD-Sendung „Plusminus“ über „Abzocke mit Schrottbüchern?“

In den letzten Wochen sind meine Recherchen zum Thema Schrottbücher und Fake-Experten in einen Fernsehbeitrag eingegangen, an dem ich als Autorin mitgearbeitet habe. Er wurde am 15.12. im Magazin Plusminus der ARD ausgestrahlt, leider leicht gekürzt (es waren gleich vier Beiträge in der halbstündigen Sendung …).

Reaktionen auf die Plusminus-Sendung über „Schrottbücher“

Erste Reaktionen auf den Beitrag sind schon eingetroffen: Das Börsenblatt (herausgegeben vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels) empfiehlt den Beitrag in einem Online-Artikel und fasst darin einige Aussagen zusammen: Der Titel lautet „Schrottbücher“ mit 5-Sterne-Bewertung? Außerdem hat der Deutschlandfunk Ulli Schauen interviewt, den anderen Autor, der auch im Beitrag zu sehen ist – Link zum Audio.

Nachtrag: Im Januar wurde auch das Online-Magazin „Utopia“ auf das Thema aufmerksam und fasste einige Punkte der Plusminus-Sendung zusammen. Schrottbücher: So übersäen die Fake-Ratgeber Amazon lautet der Titel.

Außerdem hat Amazon reagiert: Wenige Tage nach Ausstrahlung des Plusminus-Beitrags wurden alle Bücher und E-Books des Labels „Empire of Books“ aus dem Shop genommen, das betrifft etwa 100 Titel. Auch zwei kleinere Labels desselben Unternehmens sind von der Löschung betroffen, nämlich Kitchen King und Travel World. Soweit Hörbuch-Versionen existieren, können sie aber noch in Audible ausgeliehen werden.

Update 01/2022: Mein Artikel über Fake-Experten bei Heise.de

Da wir im Plusminus-Beitrag nicht alle interessanten Aspekte unterbringen konnten und Amazon auf die Sendung reagiert hatte, habe ich für das Portal Heise.de noch einen Artikel geschrieben: Wie Fake-Experten den Ratgebermarkt bei Amazon erobern

Den Titel habe ich selbst formuliert. Das Wort „Schrottbuch“ kommt darin nicht vor, da es mir persönlich nicht in erster Linie um eine Qualitätsdebatte geht (selbstverständlich darf man auch schlechte Bücher schreiben und teuer anbieten). Das Problem sind Manipulationen, die die Marktmechanismen umgehen und dafür sorgen, dass billig gemachte Bücher an anderen Titeln vorbei ziehen – deshalb stehen diese Tricks im Mittelpunkt des Beitrags. Für typische Muster hat sich das Wort „Schrottbuch“ quasi als eine Art „Gattungsbegriff“ eingebürgert, wie mal eine Bloggerin an anderer Stelle schrieb, und das habe ich schließlich akzeptiert. Was die Buchwissenschaft dazu sagt, klären wir gegebenenfalls ein andermal.

Update 06/2022: „Schrottbücher“ in der juristischen Fachpresse

Die Zeitschrift AfP („Zeitschrift für das gesamte Medienrecht“ im Verlag Dr. Otto Schmidt) berichtet in Heft 3/2022 vom 20. Juni 2022 über ein Urteil zum Thema: Kein UWG-Verstoß durch negative Bezeichnung der Produkte von Wettbewerbern als “Schrottbücher“.

Der Fachartikel bezieht sich auf ein Urteil des OLG Frankfurt vom 11.3.2022. Die Klage nach dem Wettbewerbsrecht richtete sich gegen einen Blogartikel von Dr. Jan Höpker mit dem Titel Wettbewerbswidrige Schrottbücher übernehmen den Ratgebermarkt. Diese Äußerung war also rechtlich zulässig.

Abmahnung und Klage – ein weiteres Verfahren und Fundraising

Ich habe im Zusammenhang mit meiner Berichterstattung eine Abmahnung erhalten, die mich am Karfreitag 2022 erreichte und auf die tatsächlich eine Klage folgte. Im November habe ich vor dem Landgericht verloren, weil ich über das Wettbewerbsrecht angegriffen wurde und etwas Pech hatte – das Urteil ist sehr einseitig ausgefallen. Ein Jurist eines Verlegerverbandes gab mir eine unabhängige Einschätzung und nannte einige Ansatzpunkte. Im Dezember 2022 habe ich eine Spendenaktion für meine Kosten aufgesetzt, dort gibt es noch weitere Informationen. Der Rechtsschutz meiner Mediengewerkschaft deckt das Wettbewerbsrecht nicht ab.

Die bisherigen Spenden kamen ganz überwiegend von Autorinnen und Autoren, die unterschiedlichste Bücher schreiben – Roman oder Sachbuch, bei einem Verlag oder im Selbstverlag. Als ich die Fundraising-Seite bekannt machte, wurde mir im Umfeld des Schriftstellerverbandes mein neuer Anwalt empfohlen, mit dem ich jetzt tatsächlich in Berufung gehe.

Titel des BJV-Reports

Titel des BJV-Magazins 1/2023 mit Titelgeschichte über Abmahnungen und Klagen

Außerdem hat der Bayerische Journalistenverband in der Ausgabe 1/2023 seines Magazins BJV-Report eine Titelgeschichte über SLAPPs veröffentlicht. Ich habe im Februar mit der Autorin gesprochen, weil die Abmahn- und Klagewelle rund um die Plusminus-Sendung im Beitrag vorkommt, ebenso die nachträgliche Abmahnung meines Facebook-Beitrags. Der Artikel erklärt auch, warum die Plusminus-Sendung zwei Wochen vor Ablauf der üblichen Jahresfrist aus der Mediathek gelöscht wurde. Das Heft lässt sich online durchblättern und lesen.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main

Die Anhörung fand am 15. Februar vor dem Senat des OLG Frankfurt statt, ich war bei diesem hybriden Termin telefonisch dabei und meldete mich gegen Ende auch selbst zu Wort. Einige Tage später wurde mir das Urteil übermittelt: Die Klage gegen mein Facebook-Posting vom Januar 2022 wurde abgewiesen – ich habe gewonnen. (Aktenzeichen: 6 U 216/22)

Die Vorgeschichte in Kürze: Den strittigen Facebook-Beitrag hatte ich am Tag nach meinem Artikel für Heise Online erstellt, weil ich noch Beispiele übrig hatte. Ich zeigte mit Hilfe eines Screenshots ein Beispiel für Marketing-Tricks auf Amazon, konkret die Verwendung von falschen Kategorien. Ich erwähnte auch die übliche Flut aus Fünf-Sterne-Bewertungen und nutzte die Hashtags #Schrottbuch und #Schrottbücher, um den Facebook-Beitrag mit den bereits geteilten Berichten zum Thema zu verknüpfen. Während der Heise-Artikel große Reichweite erzielt hatte, auch in den sozialen Medien, wurde mein Facebook-Schnipsel kaum beachtet und erreichte deutlich unter 100 Aufrufe.

Da es im gezeigten Beispiel um Hashimoto-Kochbücher ging und diese Krankheit auch schon Thema in meinen Büchern war, wurde mein Facebook-Beitrag vom Landgericht nach dem UWG beurteilt, obwohl sie kein einziges Rezept enthalten. Das Oberlandesgericht ordnete den Facebook-Beitrag zwar auch dem Wettbewerbsrecht unter, wertete ihn aber klar als zulässige Meinungsäußerung.

Zur Berufung ermutigt hatte mich ein Jurist des MVFP (dem früheren Verband der Zeischriftenverleger), der den Fall auch hinsichtlich seiner eigenen Vorlesungen interessant fand, und natürlich mein eigener Anwalt Tobias Kiwitt. Dieser hatte schon einmal einen wichtigen Rechtsstreit in der Buchbranche gewonnen, damals ging es um die Zulässigkeit des Begriffs „Pseudoverlage“. Damit sind in Autorinnen- und Verlagskreisen solche Verlage gemeint, die ihr Geld vor allem damit verdienen, dass sie fast jedes Buch annehmen und sich dafür von den unerfahrenen Verfassern gut bezahlen lassen.

Ich danke allen, die mich mit hilfreichen Gedanken, guten Tipps und mit ihren Spenden unterstützt haben. Die Spenden kamen von zahlreichen Einzelpersonen, darunter viele Autorinnen aus dem Selfpublishing, aber auch andere Autoren und Online-Bekannte. Außerdem steuerten der Selfpublisher-Verband sowie die Fachgruppe Medien, Journalismus und Film (Ver.di) etwas bei.

Bearbeitungsstand des Artikels: 29. März 2024

2 Gedanken zu „Schrottbücher von Fake-Experten auf Amazon

  1. Ulrike Arlt

    Liebe Frau Gronegger,
    ich bin durch Zufall auf Ihre Arbeit gestoßen und ich bin ganz hingerissen!
    Ich habe selber auf Amazon veröffentlicht (komplett anderer Bereich, es geht schwerpunktmäßig um Mal- und Zeichenbücher für Kinder), und beobachte das Geschehen seit rund einem Jahr.
    Sollten Sie weitere Artikel oder Veröffentlichungen planen, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung mit meinem Wissen und Beobachtungen.
    Ähnlich wie Sie (aber ohne journalistische Qualität) bin ich tief eingetaucht in dieses erstaunlich schmutzige Business.
    Herzliche Grüße und danke für Ihre Arbeit!

  2. Gabi Frankemölle

    Liebe Irene – danke für das lange und hartnäckige Dicke-Bretter-Bohren, um das Thema publik zu machen! Ich hoffe, auch in meiner „Kochbuch-Nische“ wird Amazon mal tätig. Vor drei, vier Jahren haben die noch ganz schnell Bücher aus dem Katalog genommen, wenn man ihnen nachwies, dass die Texte zum Teil 1:1 von Webseiten kopiert waren, inzwischen erklären sie sich nicht für zuständig.

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